Reisen am Rand der Galaxis

Reisen am Rand der Galaxis

Reisen am Rand der Galaxis (Bild: Pixabay)
Reisen am Rand der Galaxis (Bild: Pixabay)
Ein lautes metallisches Knarzen übertönt die 4.587te Folge von “Luna Santuario”.

Niemand in dem kleinen Raum reagiert darauf, nach drei Wochen an Bord haben sich selbst die Neulinge an die bedrohlichen Geräusche des Schiffes gewöhnt. Dieses hier ist nicht das schlechteste, auf dem du bisher gereist bist, bestimmt maximal zweihundert Jahre alt. Es hat einen Vorführraum und eine extra Kantine. In beide passt nur jeweils ein Drittel der Passagiere, und du magst Schiffe mit Schichtsystem. Hier würfeln sie sogar jede Woche die Schichten neu zusammen, aber nach drei Wochen kennst du sie trotzdem alle. Die Resignierten, die interessierten Neulinge, diejenigen, die sich über alles beschweren müssen: über die Rationen, das Unterhaltungsprogramm, die Länge der Hygienephasen. Du weißt die kleinen Annehmlichkeiten, wie zwei verschiedene Geschmacksrichtungen bei den Rationen, noch immer zu schätzen. Vielleicht wäre es anders, würdest du aus dem Ursprungssystem stammen, wo die Schiffe besser und die Reisen kürzer sind.

Du hast dein letztes Geld für diese Passage ausgegeben, und weil der Rest sowieso für nichts weiter gereicht hätte, hast du dir einen Platz in einer Vier-Personen-Kabine gegönnt. Sogar mit den weichen Gurten an den Wänden, die verhindern, dass ihr während der Schlafphase zusammen stoßt. Man darf die kleinen Annehmlichkeiten im Leben nicht außer Acht lassen. Wenn ihr in vier Wochen euer Ziel erreicht, wirst du dir allerdings dringend Arbeit suchen müssen, sonst kommst du nicht weiter.

Zwei oder drei Monate wirst du Zeit haben, bis das nächste Schiff ankommen wird, das dich weiter nach draußen bringen soll. Wenn du bis dahin das Geld nicht hast, oder das Schiff ausfällt, wirst du weitere drei Monate dort festsitzen. Sollte es gar nicht funktionieren, bekommst du mit Glück eine Passage auf diesem Schiff zurück, wenn es nach einem Monat seinen Antrieb aufgeladen hat.

Das Knarzen ertönt erneut, dieses Mal lauter und länger, und die Leinwand wird schwarz. Das Licht flackert kurz und erlischt dann.

Die Mechaniker machen sich sofort an die Behebung des Problems, sie öffnen die Türen zwischen Vorführraum und Kantine und wecken die Passagiere aus der Nachtschicht. Du hältst dich an deinen zugewiesenen Leitstangen fest und versuchst, dich so wenig wie möglich zu bewegen. Die beiden kleinen Räume sind nun so vollgestopft, dass du kaum die Arme bewegen kannst. Die brauchst du allerdings auch nicht zum Beten. Es wird heiß im Raum, als zwei Mechaniker Wandpaneele abmontieren und an den Leitungen dahinter herumschrauben, während drei andere die Feuer für Hephaistos entzünden. Du kennst die Riten für diesen Gott nicht, doch das erwartet auch niemand. Inbrünstig steigst du in die Gebete ein und ihr versucht, mit euren Stimmen die Geräusche der Außenhülle zu übertönen.

Nicht zum ersten Mal fragst du dich, wie private Crews ihre winzigen Schiffe wohl reparieren. Zwei- oder dreimal hast du solche Leute getroffen, exzentrische Gestalten. Allein die Vorstellung, mehrere Monate nur mit einer Handvoll Menschen auf so engem Raum! Vielleicht ein Zehntel der Größe des Schiffes, auf dem du dich gerade befindest, und meist noch nicht einmal mit Sprungantrieb. “They don’t make ’em like that anymore!” – und du verstehst absolut, warum! Was du nicht verstehst, ist, wieso die rar gesäten Crews, die ein solches besitzen, so daran festhalten.

Als das Gebet beendet ist, legt sich eine gespenstische Stille über den Raum. Kollektiv haltet ihr den Atem an, wartet auf ein Zeichen.

Aus Richtung der Außenhülle ertönt ein Knirschen, das sich fortsetzt und durch die Eingeweide des Schiffes zu wandern scheint.

Das Licht flackert kurz und springt dann wieder an. Du blinzelst ob der plötzlichen Helligkeit.

Nicht lange danach erzittert das Schiff und neben dem rot flackernden Licht weist euch eine freundliche Computerstimme darauf hin, dass ihr euch für den Anlegeprozess bereit machen sollt. Sofort hältst du dich an den Wandgriffen fest und schließt den Gurt, der dich an Ort und Stelle halten wird. Selbst nach einigen Raumreisen ist dieser Vorgang noch immer äußerst unangenehm. Aus kleinen Öffnungen an der Wand werden braune Papiertüten an die Passagiere ausgeteilt und erleichtert greifst du dir eine. Als die Wände um dich herum beginnen zu wackeln, krallst du dich an den Griffen fest und presst die Lippen zusammen. Die plötzlich einsetzende Schwerkraft wirkt in drei Richtungen gleichzeitig und du spürst, wie dein Körper langsam und schmerzhaft auseinander gezerrt wird. Es dauert eine kleine Ewigkeit, dann wirst du urplötzlich wieder zusammen gedrückt, die Luft wird aus deinen Lungen gepresst. Als die physikalischen Kräfte nicht mehr auf dich einwirken, hast du ein Klingeln in den Ohren und es dauert einige Minuten, bis du dich daran gewöhnt hast, wieder in normaler Schwerkraft zu existieren. Der Raum füllt sich mit dem Gestank von Erbrochenem. Du bist stolz auf dich. Es ist die erste Reise, bei der du deine Tüte nicht benötigt hast.