Die Geschichte der Galaxis, Teil II

Die Geschichte der Galaxis, Teil II: Bedrohungen und Konflikte

Die Geschichte der Galaxis, Teil II
Die Geschichte der Galaxis, Teil II

Lamarr-Anomalie und G.O.D. Station

[ca. 370 – 400 n. Z.]

Eines der großen Rätsel, die der Weltraum den Menschen aufgab, war die Anomalie LMR-8123112219, welche später umgangssprachlich nach ihrer Entdeckerin Hannah Lamarr benannt wurde: die Lamarr-Anomalie. Etwa 370 Jahre nach dem ersten Raumfaltungssprung wurde sie am Rande des erforschten Raums entdeckt, irgendwo im Nichts zwischen zwei Sonnen. Als das Licht der Anomalie die Orbitalteleskope erreichte, folgten alsbald mysteriöse Energiewellen, die durch ein Sonnensystem nach dem anderen rauschten. Die Wellen verursachten massive Störungen der technischen Systeme und legten die Kommunikation teils über Monate lahm. Unaufhaltsam breiteten sie sich bis ins Heimatsystem Sol aus.

Hektisch wurde von der EuraK ein Plan für eine langfristige Beobachtungs- und Forschungsmission entwickelt: Ein Schwarm aus 25 unbemannten experimentellen Schiffen mit speziell abgeschirmten Systemen brach auf, um – dirigiert von einer neuartigen Künstlichen Intelligenz – automatisch eine Forschungsstation in der Nähe der Lamarr-Anomalie zu errichten. Endlich kam das erste erwartete Signal: G.O.D. Station (Gravitational Observation and Detection Station) war fertig.

Sofort brach eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen, Ingenieuren und Entdeckerinnen auf, um die Station zu bemannen und der Lamarr-Anomalie ihre Geheimnisse zu entlocken. Schon bald darauf konnten sie erste Workarounds für die technischen Störungen liefern, aber deren Ursache blieb ihnen weiterhin rätselhaft. Zu ihrem größten Unbehagen schienen die Daten außerdem darauf hinzudeuten, dass es nicht die letzte Energiewelle sein würde, die die Anomalie entsenden würde.

Der Rausch ebbt ab

[450 – 550 n. Z.]

Inzwischen waren über 400 Jahre vergangen, seit die Menschheit das Tor zu den Sternen aufgestoßen hatte. Auf Planeten und Stationen jenseits des Sol-Systems lebten Generationen von Menschen, welche nie die Erde gesehen hatten. Menschen, welche in Anpassung an ihre spezifische Umwelt und Lebensbedingungen neue Kulturformen hervorgebracht hatten. Außer der abstrakten Wahl eines Repräsentanten für das Parlament hatten sie keine wirklichen Anknüpfungspunkte mit der Erde.

Langsam schwand der Geist der Entdeckung und Besiedlung. Immer lauter wurden die Fragen danach, warum so viel der erwirtschafteten Güter „zum Wohle der Forschung“ hinaus in die Tiefen des Alls gesendet werden sollte und nicht in den Kolonien bleiben, um das Leben dort zu verbessern.

Zu Beginn fanden sich Kompromisse, zeigten Zugeständnisse und Appelle an die Solidarität für den Großen Traum noch Wirkung. Herrscherinnen wichtiger Kolonien, charismatische Anführer einflussreicher Unternehmen und Sprungschiffreedereien konnten gekauft oder erpresst werden.

Den tragischen Präzedenzfall für eine Alternative zum Frieden lieferten schließlich die vereinigten Gouvernate von Sirius, als sie sich im Jahr 482 n. Z. von der Eurasischen Konföderation lossagten und ein eigenes Reich ausriefen. Nach heftigen Diskussionen im Parlament und der wachsenden Sympathie für Sirius unter den anderen Systemen kam, was kommen musste: Die Konföderation rüstete im Sol-System stillschweigend eine Flotte von Sprungschiffen mit militärischem Gerät und Personal aus. Ziel der Operation war es, ein Exempel zu statuieren und Sirius von den Möglichkeiten zu interstellaren Reisen abzuschneiden.

Als die Sol-Flotte in Sirussystem auftauchte, zerstörten die Schiffe die lokalen Orbitalwerfen und Sprungstationen, eroberten die wichtigen Raumstationen und brachten große Teile der Unterlichtflotte des Systems unter ihre Kontrolle. Nach zähen Verhandlungen kehrten einige Gouverneure freiwillig zurück, bei anderen wurde dieser Schritt von ihren Nachfolgerinnen gegangen. Sol und seine loyalen Systeme hatten ihren Willen bewiesen, ihren Traum nicht kampflos aufzugeben. Nun wussten alle Kolonien in den Tiefen des Alls, dass sie ihre Unabhängigkeit bitter würden erkämpfen müssen.

Die zweite Welle

[ca. 500 – 550 n. Z.]

Die Eurasische Konföderation bröckelte weiter, Stein um Stein. Mal weigerte sich ein Sprungschiffkapitän, ein bestimmtes System anzulaufen, mal brachte ein Virus Computersysteme zum Absturz und an anderer Stelle sorgte ein Medienkonzern so lange für schlechte Stimmung, bis die Lage eskalierte. Im Parlament wurden Entscheidungen blockiert und vertagt, gemeinsame Absichtserklärungen waren nicht mal mehr der kleinste gemeinsame Nenner. Das Reich war zu stark überdehnt und die Nachrichtenübermittlung – und damit die Reaktion auf Ereignisse – dauerte zu lange. Kolonien starben, weil niemand ihren Hilferuf hörte, oder einfach nur zu spät. Das wachsende Misstrauen und erstarkender Egoismus gepaart mit Arroganz höhlten die EuraK von innen her aus.

Nach und nach sagten sich Planten oder Unternehmen los. Manchen widerfuhr das Schicksal von Sirius, andere konnten dem militärischen Schlag widerstehen. Wieder andere waren schlau genug, formal weiter Teil der EuraK zu bleiben, hinter dieser dünnen Fassade die Dinge aber selbst in die Hand zu nehmen. Es kam zu lokalen Aufständen und Kriegen, mache flammten kurz und heftig auf, andere schwelen bis heute. Mit jeder verlorenen Kolonie wurden die Arme der Konföderation schwächer.

Im Jahr 529 n. Z. wurde schließlich wahr, wovor die erste Besatzung von G.O.D. Station mehr als ein Jahrhundert zuvor gewarnt hatte: Die Lamarr-Anomalie erwachte zum zweiten Mal. Die Sensoren von G.O.D. Station bemerkten das drohende Unheil, aber ihr Funkspruch war nur Minuten vor der Welle – zu wenig Vorwarnzeit für die besiedelten Systeme, die in den vergangenen Jahrzehnten ganz mit sich selbst beschäftigt gewesen waren.

Die Station selbst nahm durch die Welle ebenfalls Schaden – aber dank der unermüdlichen technischen Weiterentwicklung der Systeme durch die KI und die Forscherinnen hielt er sich in Grenzen. Fieberhaft wertete die Crew alles aus, was sich an Daten aus der Anomalie gewinnen ließ, und entwickelte neue Workarounds für die Folgen dieser zweiten, heftigeren Welle. Ohne funktionierende Empfangsgeräte verloren sich die Informationen jedoch in den Tiefen des Alls.

Als die zweite Welle auf die ersten bewohnten Systeme traf, waren die Auswirkungen so verheerend, dass die Menschheit in ihrer technologischen Entwicklung um mehrere Jahrhunderte zurückgeworfen wurde. Jahre vergingen, bis eines der Sprungschiffe, die durch die Störungswelle nicht vernichtet worden waren, den Weg zur Station fand, um dort die aktuellsten Daten und technischen Workarounds abzuholen und zurück ins Sol-System zu bringen.

Dort wurden die Daten zum Politikum. Die Regierungen der Ursprungswelten hüteten die Workarounds und Auswertungen eifersüchtig. Nur selektiv tröpfelten die technischen Lösungen hinaus an die verstreuten Außenposten der Menschheit. Wer sich in der Vergangenheit illoyal gezeigt hatte, bekam oft erst zu spät Zugang – wenn überhaupt. So landeten die Daten von G.O.D., ironischerweise, teils ungenutzt wieder in den Archiven.

Neue verzweifelte Konflikte um die Reste der alten Hochtechnologie entbrannten. Am ruchlosesten gingen dabei die Ursprungswelten um Sol vor. Sie nutzten ihre Kontrolle über die Konföderale Le.G.I.O.N. – jene interstellaren Streitkräfte, die damals als Antwort auf Sirius‘ Aufstand etabliert und “Legislativ Genehmigte Intervention für Ordnungswiederherstellung und Notstandsgesetzgebung” genannt wurden – und zerstörten Teile dessen, was Lamarr übriggelassen hatte: Orbitalwerfen und Fabriken, Sprungstationen, große Handelsknoten. Große Teile der restlichen Technologie nahmen sie mit.