Die Geschichte der Galaxis, Teil III

Die Geschichte der Galaxis, Teil III: Was von der Konförderation übrig blieb

Die Geschichte der Galaxis, Teil III
Die Geschichte der Galaxis, Teil III

Memento Mori

[ca. 580 – 700 n. Z.]

Seit mehr als 200 Jahren hatte G.O.D. Station Wache vor der Lamarr-Anomalie gehalten und blickte in jenen Schlund, der die Menschheit schon zweimal in eine verheerende Katastrophe gestürzt hatte. Auch vor diesem einsamen Wächter machten die Entwicklungen in der Gesellschaft keinen Halt.

Im Jahr 587 n. Z. dockte für lange Zeit das letzte Versorgungsschiff mit neuen Geräten, Ersatzteilen, Vorräten, Nachrichten und Verstärkung für die Crew an, nahm die gesammelten Daten auf und verschwand. Danach versank G.O.D. Station, wie zahlreiche andere Stationen und Welten, in der Vergessenheit.

614 n. Z. trat das alte Parlament der Eurasischen Konföderation ein letztes Mal zusammen, die Versammlung aller Elektoratseinheiten der Galaxis. Einziger Tagesordnungspunkt: die Selbstauflösung. Er wurde angenommen.

So also ging die Eurasische Konföderation unter. Über 600 Jahre lang hatte sie die Menschheit unter der Flagge des Entdeckerdrangs und der idealistischen Forschung vereint und den Weg zu den Sternen beschritten. Am Ende fiel sie nicht einem einzigen Krieg oder einem äußeren Feind zum Opfer. Sie fiel, weil die Menschen nicht mehr bereit waren, gemeinsam an ein großes Ziel zu glauben.

Die schier unendlichen Distanzen des Alls führten zu Entfremdung und Zerrissenheit. Viele Kolonien kämpften mit mageren Ressourcen um ihr Leben. Wer mehr hatte, als er brauchte, gab sich lieber dem Luxus hin, als die raren Entdeckerinnen und Pioniere zu unterstützen, die dem lebensfeindlichen All unter großen Entbehrungen eine weitere Heimstatt für die Menschheit abrangen und neue Systeme erforschten.

Und jetzt: Die News!

[um 800 n. Z.]

Wir schreiben das Jahr 820 n.Z. und die Menschen gibt es immer noch. Sie reisen noch immer durch den Weltraum, leben noch immer auf Raumstationen und Asteroiden, erwarten noch immer gebannt die neusten Nachrichten, welche die Sprungschiffe aus der Weite des Alls zu ihren kleinen Welten bringen. Die Verheerungen im Zuge des Untergangs der Eurasischen Konföderation haben das Wissen und die Verfügbarkeit von Technologien und Produkten schrumpfen lassen. Die großen Orbitalwerften und –fabriken, die Forschungsstationen und High-Tech-Labore liegen in den Ursprungswelten – und von dort kommt selten Besuch in die ehemaligen Kolonien.

Alles, was nicht von der Anomalie zerstört, von der Le.G.I.O.N. und den Ursprungswelten geraubt oder durch das egoistische Treiben lokaler Warlords vernichtet wurde und noch fliegt, ist alt. Es stammt aus den fernen Zeiten der Hochtechnologie, als die Menschheit noch vereint an ihrem gemeinsamen Ziel arbeitete.

Heute sind Werften und Docks für Sprungschiffe selten, von Ersatzteilen ganz zu schweigen. Wo Teile kaputtgehen oder fehlen, werden sie durch Provisorien ersetzt, fehlende Schaltkreise durch Stoßgebete kompensiert. In ihrer Hilflosigkeit bringen die Menschen, die oft nur ein paar Zentimeter Stahl von der luftlosen Kälte des Alls trennen, ihren technologischen Göttern alle Opfergaben, die sie entbehren können – und die Technikerinnen deuten das Ächzen der Maschinen.

Wo keine zentral geplanten Sprungrouten mehr existieren, werden ganze Welten vom Rest der Menschheit abgeschnitten. Randzonen entstehen dort, wo die Kapitäne der Sprungschiffe keine lukrativen Landgänge erwarten oder Sonnen zu schwach sind, um die Akkus in vertretbarer Zeit aufzuladen. Die Logik ist einfach: Wer nichts hat, was eine andere benötig, wird nicht angesteuert. Vielleicht war auch mal ein Besuch eines entfernten Systems geplant, aber das Sprungschiff explodierte unterwegs und der Rest des Universums erfährt es erst in ein paar Jahren, wenn der Funkspruch ankommt.

Gelegentlich soll es auch vorkommen, dass ein strahlend weißes, neues Sprungschiff aus dem Heimatsystem einen Abstecher in entfernte Ecken des besiedelten Raums unternimmt. Dort bleibt es dann ein paar Wochen, bringt Nachrichten und neue Serien, hilft so gut es geht bei der Reparatur alter Geräte, nimmt Daten an Bord und springt weiter. Diese Schiffe sind es, die den Mythos von der großen Eurasischen Konföderation im Laufe der Jahrhunderte aufrechterhielten und verbreiteten. Die Menschen glauben daran, dass jene Vergangenheit eine bessere Zeit war.

Vielerorts sind diese Schiffe willkommen. Anderswo verweigern paranoide Warlords und Regierungen die Lande- und Dockerlaubnis, da sie fürchten, die Soldatinnen der Le.G.I.O.N. könnten sich einschleichen, ihre Vormachtstellung bedrohen oder ihre Technologie stehlen.

Diadochen und Epigonen

[um 800 n. Z.]

Der bewohnte Weltraum ist in unzählige Reiche und Nachfolgestaaten zersplittert. Mache umfassen nur eine Station oder Siedlung auf einem Mond oder Asteroiden, andere erstrecken sich über ganze Planeten, wenige über ganze Sonnensysteme – und nur eines über mehrere: das, was nach dem Zerfall der Eurasischen Konföderation noch übrig war. Mit der Erde als Mittelpunkt stellen die Handvoll Systeme rund um Sol noch immer die Spitze der Forschung und Technologie dar.

Dort, im alten Zentrum der Konföderation, haben sich Reste ihrer Machtstrukturen in ein neues Gewand gekleidet erhalten. Dort tagt offiziell der EURAP: der Eurasio-Afro-Pazifische Senat der Vereinten Elektoratseinheiten und unabhängigen Entitäten. Jeder, der irgendwo in der besiedelten Galaxie irgendwas zu sagen hat, trifft sich hier: von Herrscherinnen von Planeten und Raumstationen über Sprungschiffkapitäne bis zu den Köpfen etablierter Cyberdynastien. Vielerorts wird basisdemokratisch über die lokale Vertretung im Senat abgestimmt, anderswo entscheiden Despotinnen oder die Anzahl der Likes und Follower.

Heute ist der EURAP kein klassisches Parlament mehr, sondern hat sich zu einem Ort des informellen Austauschs entwickelt. Er ist ein Basar, auf dem man um Technologie und Dockkadenzen feilscht. Eine offizielle Bühne, auf der planetare Herrscher die Herrschaft über ihr Fleckchen Weltall legitimieren, wo Feinde sich auf neutralem Boden austauschen können. Der zentrale Hotspot für Mode und Trends. Hierhin kommen die Leute, um zu sehen und gesehen zu werden. Und es ist der Ort für Klatsch und Tratsch, die neusten Nachrichten, die hippsten Entertainmentprogramme und gehypetesten Starlets. Hier gibt es nichts, was es nicht gibt.

Und G.O.D. Station?

[820 n. Z.]

Die Lamarr-Anomalie scheint wieder zu schlafen. Niemand ist mehr am Leben, der den letzten Ausbruch mit eigenen Augen gesehen hat, und so ist er in das Reich der Schauergeschichten aus ferner Vergangenheit übergetreten. Lange Zeit lag G.O.D. Station vergessen im Raum. Aber langsam und stetig näherte sich ihr die menschliche Besiedlungsgrenze. Seit Kurzem sind auch ihre beiden Nachbarsysteme erschlossen, sodass sie nun als Bindeglied zwischen den Systemen fungiert. Sprungschiffe tauchen auf, um ihren Antrieb aufzuladen. Und mit ihnen kommen Menschen, Geschichten und Veränderung.